PRESSESTIMMEN

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ZÄRTLICHE RISSE. GEDICHTE. | der wolf verlag 2023.

PRESSE

„Zärtliche Risse“ könnte „Von der Liebe“ erzählen, wie auch der erste Teil des Bandes betitelt ist. Aber erzählen ist vielleicht an dieser Stelle schon ein unachtsam gesetztes Wort. Vielmehr ist es ein Begreifen, ein Fühlen, ein Hinhorchen, ein Hineinlugen in ebenjene bitterzarten Risse.

„Du bist anderswo / Wenn deine düsteren Geister mich jagen / Deine Zweifel zärtliche Risse in meine Wände treiben / Deine Tränen von meinen Wangen stürzen. (…)“. (aus: Anderswo, S.32)

 Mit diesem Beginn ist das Thema des Verlustes bereits präsent. Auch der tatsächlichen Zeit mit der geliebten Person ist immer eine Grenze gesetzt, sei es durch ihre Abwesenheit, die Flüchtigkeit der Begegnung oder der eigenen Einsamkeit wegen, der Unauflösbarkeit des Todes. Das lyrische Ich ist offen, wund. Die Intensität in der Sprache mal knapp, mal ausufernd, sodass die Unaushaltbarkeit des jeweiligen Zustands unangenehm konkret wird. Das Wundern über sich und die Liebe mutet manchmal beinahe sakral an. Eine mögliche Vergoldung der Risse, das lockige Haar, die Seelenberührung sprechen von einer Tiefe, die der Beziehung eine ausgesprochene Besonderheit verleiht. Worin diese liegt, wissen wohl nur die Liebenden selbst.

 Nach dem großen Einstieg in „Von der Liebe“, in dem manchmal Zweifel an den Worten aufkommen, fungieren diese im Kapitel „Worte aneinanderreihen“ wieder als Sicherheitsträger. Die Sicherheit ist allerdings nicht von langer Dauer. „Krieg und Frieden“ ist traurig zeitlos, zeigt wechselnde Positionen auf, erzählt vom hoffnungsarmen Bleiben, vom überlebensnotwendigen Gehen, in alldem der tiefe Wunsch nach Frieden.

Fast besänftigend wirken dann die „Momentaufnahmen“ mit scheinbaren Alltäglichkeiten, aber stets mit derselben Wortgewalt wie zuvor. „Zärtliche Risse“ hat durchaus Pathos.

Von Katharina J. Ferner für lyristix


DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER | Brüder Grimm Festspiele Hanau 2018

von Johann Wolfgang Goethe, Brüder Grimm Festspiele Hanau

Inszenierung: Patrick Dollmann

Bühnenbearbeitung: Astrid Kohlmeier

Mit: Katharina Schmidt, Lukas Sperber, Dominik Penschek

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Schon im vergangenen Jahr hat Regisseur Patrick Dollmann die tragische Liebesgeschichte rund um Werther, Lotte und Albert auf die Bühne der Wallonisch-Niederländischen Kirche gebracht. Mit einer Auslastung von durchschnittlich 102 Prozent hat sich das Stück zur erfolgreichsten Inszenierung in der Geschichte der Brüder-Grimm-Festspiele entwickelt.

Carolin-Christin Czichowski: Festspiele: Premiere "Die Leiden des jungen Werther" begeistert. In: Hanauer Anzeiger 18.12.2019.
DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER | UA 7.11.2013

von Johann Wolfgang Goethe, Kaleidoskop Theater Luxembourg

Inszenierung: Jean Paul Maes

Bühnenbearbeitung: Astrid Kohlmeier

Mit: Raoul Migliosi als Werther, Rosalie Maes als Lotte, Max Gindorff als Albert


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"Die erfrischend unkonventionelle, wenngleich werkgetreue Bearbeitung (im allerbesten Wortsinn!) der österreichischen Autorin Astrid Kohlmeier im Auftrag des Kaleidoskop-Theaters (Inszenierung: Jean-Paul Maes) ist eine Uraufführung. Die drei jungen, zweifellos vielversprechenden Schauspieler, die zwar erst am Anfang ihrer Theaterlaufbahn stehen, überzeugen durch konzentriertes Spiel, hervorragende Bühnenpräsenz und nuancenreiche Ausdrucks- und Wandlungsfähigkeit - eine rundum überzeugende und ansprechende Darbietung [...]." In: Letzebuerger Wort, 9.11.2013.

"Die Bearbeitung der jungen österreichischen Autorin Astrid Kohlmeier stellt auf äußerst beeindruckend poetische Weise diese in blinde Leidenschaft gefasste, geradezu körperlich unerträgliche Liebe in ein Dreiecksverhältnis junger, miteinander befreundeter Menschen. Werther legt sich seine AUSGRENZUNG selber auf, und deshalb wiegt sie um so schwerer. Schwermütig saugt sie sich mehr und mehr in die Tiefen des Unentrinnbaren." In: Tageblatt, 6.11.2013.

"Die österreichische Autorin Astrid Kohlmeier hat den Originaltext an die inszenatorischen Bedürfnisse angepasst, unnötigen Ballast wie Landschaftsbeschreibungen und einige Nebenfiguren über Bord geworfen. [...] Die theatralischen Besonderheiten des Originaltextes wurden herausgearbeitet, die Sprache Goethes beibehalten: Ein echter Werther also." Patrick Versall. In: Journal, 6.11.2013.
WITTGENSTEINS NEFFE. EINE FREUNDSCHAFT. | UA 1.3.2013

von Thomas Bernhard, Schlosstheater Celle

Regie: Tobias Sosinka

Bühnenbearbeitung: Astrid Kohlmeier

Mit: Andreas Herrmann (Erzähler), Jürgen Kaczmarek (Paul)


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Wie der vom Theater fast vergessene Thomas Bernhard in der Diaspora sich wiederfindet: »Wittgensteins Neffe« im Schlosstheater Celle

[...] Witt­gen­steins Neffe ist ein kur­zer Pro­sa­text Bern­hards, der von der jun­gen Gra­zer Auto­rin Astrid Kohl­meier für die Bühne ein­ge­rich­tet wurde. Erzählt wird die Geschichte der Freund­schaft des erzäh­le­ri­schen Egos Tho­mas Bern­hards mit Paul Witt­gen­stein, dem exzen­trischs­ten aller Nach­kom­men des an Exzen­tri­kern nicht armen öster­rei­chi­schen Hau­ses Witt­gen­stein, Tobias Sosinka hat sie in Celle inszeniert.

Wie bei­nahe jede der berühm­ten und zuwei­len auch berüch­tig­ten bern­hard­schen Tira­den haben Stoff und Kon­struk­tion starke musi­ka­li­sche Wur­zeln, Sprach­rhyth­mus und Duk­tus sind trotz ihrer zuwei­len sper­ri­gen didak­ti­schen Aus­las­sun­gen fein kom­po­niert. Musik spielt im Werk Tho­mas Bern­hards nicht nur als Thema eine Rolle, sie zieht sich bis in den Satz­bau hin­ein. Die Text­fas­sung zollte dem Tri­but, lässt unan­ge­tas­tet, was unan­ge­tas­tet blei­ben muss, setzt aber das mono­lo­gi­sche Solis­ten­prin­zip (auch das ein Bernhard-Typus) behut­sam in eine zumin­dest stel­len­weise dia­lo­gi­sche Form. So ent­ste­hen aus dem mono­ma­nen Erzähl­strang tat­säch­lich eini­ger­ma­ßen leben­dige Thea­ter­fi­gu­ren. Eine »papie­rene« Umset­zung, die so viele der der­zeit wun­der­li­cher­weise so moder­nen Pro­s­a­dra­ma­ti­sie­run­gen aus­zeich­net, fin­det nicht statt. [...]

Was blei­ben kann? Eine drin­gende Rei­se­auf­for­de­rung in die soge­nannte »Thea­ter­pro­vinz«, die die Staats­thea­ter­be­su­cher gros­ser Städte gerne mal bei ihrem Blick in das Umland ver­nach­läs­si­gen. Thea­ter lebt auch an ande­ren Orten, ins­be­son­dere wenn es sich mit ande­ren Tex­ten als den der­zeit moder­nen beschäf­tigt. [...]

Matthias Schumann: Existenzbeherrscher. In: Hamburger Feuilleton, 20. März 2013.
TINNITUSTRANSKRIPTION | UA 2010, Kulturhaus Niederanven, Luxemburg

von Astrid Kohlmeier

Regie: Eva Paulin

Mit: Jean-Paul Maes, Gabriel Thibaudeau (Piano)


PRESSE

Transkribierter Tinnitus

Von Anina Valle Thiele

Wunderbare Wortspiele und krankhafte Klangwelten erwarten den Zuschauer in „Tinnitustranskription“. Das Stück bewegt sich zwischen Sprechtheater und Klanginstallation.

Ein Mann ist auf der Suche nach seiner Identität und fügt sie nach und nach aus bruchstückhaften Erinnerungen zu einer neuen zusammen. Es entsteht ein buntes Mosaik. Der Zuschauer hat teil am Bau der Figur aus den einzelnen Fragmenten und ist zugleich als kreativer Akteur gefordert, muss er sich doch selbst die Bausteine zusammenlegen, damit ein schlüssiges Bild entsteht.

Die Situation ist die nach einem Bombenattentat auf einem Bahnhof. Komponiert als Zusammenspiel von Musik, Klängen und Rauschen. „Es lärmt noch in mir in den Synapsen – Geräusche, ein Ticken, Surren, Morgentöne, Klänge, morbide Greueltöne“. Zwanghaft versucht der Darsteller „als Ohrenmensch mit Kunststoff-Knistern“ das Geschehen zu rekonstruieren. In polyphonem Lärm erinnert er sich fragmenthaft an eine Gas-Explosion, eine Papier- Explosion, eine Bombe. Seitdem herrscht Dunkelheit, die wie Angst klingt und etwas ist unstimmig in seinem Kopf. Etwas stimmt nicht mehr: „Tinnitus dann endlich.“

So wie Bachs Goldberg-Variationen, Abwandlungen ein und desselben Motivs sind, sucht und entdeckt sich die Figur immer wieder neu. Die Musik ist damit Spiegelbild der Seele und der inneren Zerrissenheit des Hauptdarstellers. Die Suche des Mannes kann wiederum stellvertretend für die ganze Menschheit stehen. „Menschsein macht müde“, deklamiert die gebrochene Gestalt.

Der Saal im Kulturhaus Niederanven, wo das Stück gerade uraufgeführt wurde, bietet die perfekte Räumlichkeit. Der auf drei Seiten aus Glas bestehende Raum gleicht einem transparenten Kasten, der den Darsteller vor nichts schützt. Wie ein Tier windet er sich mit seinem Tinnitus im Ohr. In ausdrucksstarken Bildern werden uns Einblicke in den Kopf des Mannes gewährt, nehmen wir teil an der Suche nach seinen Erinnerungen. Die Leinwand zeigt ein Panoptikum an bunten Mustern, wie durch ein Kaleidoskop, das man schüttelt, in wechselnden Konstellationen. Oder auch zwei Rolltreppen. Ein Klavier. Einen grell-rot bemalten lachenden Mund. Verwackelte Bilder.

Der Stil der jungen in Graz ausgebildeten Autorin Astrid Kohlmeier ist messerscharf. Der für „Tinnitustrans-
kription“ komponierte Monolog ist pure Poesie, reich an schneidenden morbiden Metaphern. Voller Widersprüche und genialer Wortspiele. „Meine alte Heimat ist abgebrannt.“ „Nein, nichts ist abgebrannt.“ „Man sieht nichts, auch nicht mit dem Herzen.- Das Herz der pochende Zeitsender.“ Dem Darsteller ist klar, er kann sich nur noch auf sein Ohr verlassen. Das Ohr, in dem sein „Tinnitus rauscht wie ein Pinienwald“.

Handelt es sich um einen inneren Monolog? Gleichgültig was es ist, der Tinnitus ist der Dreh- und Angelpunkt. Denn „seit dem Tinnitus ist jeder Tag ein anderer Tag.“ Mal lächelt der Schauspieler irre verklärt und spricht zu dem Geräusch wie zu einer Geliebten. Mal hört er nichts außer Störgeräuschen, Stille ist inexistent. Eine Reprise an Variationen. Er kommt zu der Erwägung: „Vielleicht bin ich ein Dauerton. Die Welt braucht mich nicht.“ Lärm ist ja akustischer Abfall“, um schließlich zu der Erkenntnis zu gelangen er sei vielleicht ein „einsilbiges Instrument“. – „Eine Reliquie aus einer Zeit, in der Töne noch Töne waren.“

Die seit 20 Jahren inszenierende Regisseurin Eva Paulin hat ihr Bühnenstück sorgsam auf den Text abgestimmt. Jean-Paul Maes als leicht misanthropischer Darsteller spielt seine Rolle voller Pathos und trägt das gut einstündige Stück ohne Längen. Der kanadische Pianist und Komponist Gabriel Thibaudeau begleitet das Stück. Weltweit ist Thibaudeau einer der Wenigen, die zu Stummfilmen spielen. Die künstlerische Umsetzung von Tinnitustranskription ist Paulin gut gelungen und einzigartig auf die Bühne gebracht. Oder wie es im Stück heißt: „Die Existenz will tosenden Beifall, der das Trommelfell zum Jauchzen bringt.“
In: Woxx 30.04.20210.
SOMMERFRISCHE VON CARLO GOLDONI

Eine Neubearbeitung von Astrid Kohlmeier & Tobias Sosinka 
Institut Schauspiel, Universität für Musik und darstellende Kunst Graz 
(Premiere 20.06.2009) 

Regie: Tobias Sosinka 
Fassung Dramaturgie: Astrid Kohlmeier 
Bühne Kostüme: Helene Droell 
Mit: Studierenden des 2. Studienjahres Schauspiel


PRESSE

"Empfohlen Die Redaktion legt nahe: Auf Sommerfrische" 
In: FALTER 27/09

Das Institut Schauspiel der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz produziert die Komödie "Die Sommerfrische" von Carlo Goldoni. In der Bearbeitung von Astrid Kohlmeier und Tobias Sosinka ist ein turbulentes Spiel um Liebe und Intrigen rund um die Bürger von Livorno zu erwarten.

"Kunstuni im Park. Schauspielstudenten im Amphitheater"
In: Kleine Zeitung 24.06.2009.

Graz. In einer originellen, wunderbaren Neubearbeitung zeigt Regisseur Tobias Sosinka Carlo Goldonis "Sommerfrische" mit Studierenden des 2. Jahrgangs im bislang ungenutzten Amphitheater der Kunstuni. Durch seine Striche, Doppelbesetzungen und Bezüge zum Hier und Jetzt wird das Spiel um Liebende, Leidende, Mitgiftjäger und Schuh-Fetischistinnen noch rasanter... 




REGIE

MÄNNLICHE WIMPERN & WEIBLICHE ZEHEN

Männliche Wimpern & Weibliche Zehen von Astrid Kohlmeier, 
Landestheater Schwaben 2007 (UA: 23.05.2007) 

Regie: Astrid Kohlmeier 
Ausstattung: Britta Lammers
Mit: Theaterjugendclub des Landestheaters Schwaben 

PRESSE

"Nichts anfassen!"
In: Memminger Kurier. 30.05.07 

Absolut sehenswert: Die junge Regisserin Astrid Kohlmeier hat die Szenen in ein starkes Regiekonzept eingebunden, das jede Menge Entfaltunsspielraum lässt, von den Darstellern mit Lust, Liebe und Sinn für Humor ausgestaltet. Hin und hergerissen zwischen Anpassung an gesellschaftliche Normen, Regeln und (Schönheits-)Idealen und eigenen Wünschen und Ängsten, zwischen modernen Lebensformen und Tradition, Romantik und Pragmatik, kaltem Existenzialismus und der Suche nach Geborgenheit und Verbindlichkeit  - und schließlich zwischen dem Bedürfnis nach Abgrenzung und dem brennenden Wunsch nach Nähe und Sexualität, suchen sich fünfzehn Menschen Ziele zu stecken.




"Man wird nicht als Tussi geborgen"
In: Memminger Zeitung. 31.05.07

Das Stück lässt sich einerseits als Stück über Jugendliche verstehen, die Probleme mit dem Erwachsenwerden haben, mal rebellisch "Scheiß auf die Gesellschaft" rufen und dann wieder, ganz verletzlich, über echte Sehnsüchte und falsche Ideale sprechen. Andererseits kann man sich auch auf literarische Anspielungen und philosophische Positionen einlassen, die das Stück zum Geschlechterthema in den Raum stellt. Missverständnisse zwischen Mann und Frau kann man dann als absurdes Theater begreifen oder sich der Kernaussage Jean-Paul Satres einmal über die Jugendsprache annähern. Denn der Philosoph meine mit dem Satz "Die Existenz geht der Essenz voraus" doch wohl, "dass man gar nicht als Tussi oder Kerl geboren, sondern dazu gemacht wird.   

"Männliche Wimpern und Weibliche Zehen" bringt die Chancen und Probleme einer individualisierten Gesellschaft mit viel Feingefühl auf den Punkt. Es zeigt die Verunsicherung junger Menschen, die sich nicht mehr auf vorgefertigte Muster berufen können und deckt gleichzeitig ihre Lust daran auf, sich stets neu zu erfinden. Was bleibt, ist das Bekenntnis zur eigenen Individualität. Schlicht und doch nicht einfach..
© Peter Langmann
WINDSTRICH

Windstrich von Walter Weyers, Landestheater Schwaben 2009 (Premiere: 24.04.2009)  

Regie: Astrid Kohlmeier 
Bühne & Kostüme: Anne Sevenich
Mit: Undine Schmiedl, Helwig Arenz, Klaus Teigel

PRESSE

Drei Schiffbrüchige kämpfen ums überleben 
In: Memminger Zeitung. Allgäu Rundschau. 22.04.09 

«Der Kannibalismus ist in Windstrich eher eine Chiffre», erzählt Weyers. «Das Stück wirft mit der Problematik der Flüchtigen, der Verstoßenen und der Heimatlosen existenzielle Fragen auf. Ihnen wird die Menschenwürde aberkannt in einer Welt, die es auf die Verwertbarkeit des menschlichen Lebens abgesehen hat», so Weyers. «Das Stück enthält auch politische Anspielungen», verrät die Regisseurin Astrid Kohlmeier. Doch auch sie betont die Allgemeingültigkeit des Szenarios: «Solche Überlebenskämpfe sind zeitlos, allgegenwärtig. Sie finden nicht nur auf einem Floß statt, sondern überall dort, wo Menschen miteinander leben müssen und aus gesellschaftlichen, ökonomischen, psychischen oder physischen Gründen nicht ausbrechen können: in Klassenzimmern etwa oder Schlafzimmern, in Büros, Werkstätten, Fabriken, Flüchtlingslagern.» ...


Windstrich von Walter Weyers 
In: Kleines Journal. Programmheft. Landestheater Schwaben. 24.04.09 

Wie ich … überleben konnte? Mein Grundsatz war: zuerst ich, dann wieder ich und danach noch einmal ich. Dann lange nichts. Und dann wieder ich. Und dann erst alle anderen. Die Ärztin E. Lingens-Reiner zit. nach Primo Levi, 1990.

Die kannibalische Ordnung, überkommen von den Anfängen der Menschheit her, existiert. So wie das Tabu des Tötens in Form sanktionierter staatlicher Gewalt, z.B. im Krieg, schnell aufgegeben wird, finden wir auch in europäischen >>Hochkulturen<< kannibalismusähnliche Vorgänge, z.B. die industrielle Verwertung von Menschen in den deutschen Konzentrationslagern. Auch im Verhältnis der Ersten zur Dritten Welt scheint ein verleugneter Kannibalismus vorzuherrschen, da wir sehr genau wissen, daß unsere Art des Lebens nur aufgrund einer gewaltigen Ausbeutung und Vernichtung der Ressourcen eines anderen Teils der Menschheit möglich ist.  Alf Gerlach, 1996. 

Glauben Sie mir, aufessen wollte ich ihn, aber töten wollte ich ihn nicht. A.M., der so genannte „Kannibale von Rothenburg“, in einem Beileidschreiben an Angehörige seines Opfers B.B. Hamburger Abendblatt, 31.1.2004. 


 "Hass & Hunger. Walter Weyers' >>Windstrich<<"
In: Memminger Zeitung. 27.04.09 

Das Landestheater Schwaben brachte mit "Windstrich" aus der Feder des Intendanten Walter Weyers ein verstörendes Stück zeitloser Zeitgeschichte auf die Bühne: Was 1816 beim Schiffbruch der französischen Kolonia-Fregatte "Medusa" am Kannibalismus der Überlebenden zerbrach, war nicht zuletzt der Glaube an das Gute im Menschen. Barbarisch erscheint in Weyers' Drama nicht so sehr, dass der Mensch sich rettet, sondern dass er es zulässt, dass andere dabei zugrunde gehen.

So subtil verkörpern Undine Schmiedl, Helwig Arenz und Klaus Teigel ihre Rollen, dass zwischen Liebe, Hass, Eifersucht und Begierde, zwischen Hunger, Durst und Kälte der innere Kampf der Protagonisten hinter der an Projektionen und Schuldzuweisungen scheiternden Kommunikation deutlich spürbar wird. Herrvorragend fügt sich Anne Sevenichs Bühnenbild, eine umgekippte Schiffsbar mit der vieldeutigen Überschrift "All you can eat", ins Bild des untergehenden "Anything-goes"-Kapitalismus. Transportiert doch Walter Weyers' Floß nichts Geringeres als den Untergang der modernen Zivilisation, die an der Plünderungökonomie der kapitalistischen Gesellschaft zerschellt...


"Gegen den Strich". Astrid Kohlmeier inszeniert Walter Weyers >> Windstrich<<
In: Memminger Kurier. 29.04.09

Walter Weyers, der so großartige Inszenierungen wie seinerzeit den Urfaust auf die Bühne brachte, zeigt  leider auch des öfteren einen fatalen Hang zu drastischen Darstellungen nach dem Motto "Die Nackten und die Toten" mit reichlich Theaterblut. 

Astrid Kohlmeier hat sich am Landestheater Schwaben in der Spielzeit 2006/2007 einen Namen gemacht: einmal mit der Szenencollage "Männliche Wimpern & Weibliche Zehen", aber vor allem mit der Uraufführung ihres selbst verfassten Stückes "Grüne Organe"  durch Peter Dorsch, in dem sie sehr sensibel mit dem Thema des illegalen Organhandels umgeht. Überraschend daher, dass sie hier  so stark auf Realismus setzt. Auch wenn es sich natürlich bei dem Toten um eine Puppe und dem Herz um eine Frucht handelt, könnte dem Zuschauer durchaus übel werden, denn hier lässt ihm die Phantasie keinen Spielraum mehr. Grässliche Medienberichte über das Flugzeugunglück in den Anden vor vielen Jahren werden wieder wach. Die Leistung der drei Schauspieler ist zweifellos bemerkenswert und wurde vom Premierenpublikum mit reichlich Schlussapplaus belohnt...
© Philippe Wolk
BLACK DOGS. Der Depression begegnen.

Theaterprojekt von und mit Betroffenen und Künstlern.

Text & Regie: Astrid Kohlmeier
Ausstattung: Anne Sevenich
Mit: Elisabeth Ziegler, Anke Rencken, Peter Höschler
Premiere: 17.04.2010, 20:00


Bayerische Theatertage Regensburg: Di 29.06. 19:30 Uhr, Turmtheater


„Black Dogs“ ist aus einer Zusammenarbeit des Landestheaters Schwaben und der Psychiatrie des Klinikum Memmingen entstanden. In gemeinsamer Arbeit haben Theaterkünstler und von der Krankheit Betroffene einen Theaterabend entwickelt, der das tabuisierte Thema Depression sowohl dokumentarisch als auch mit den fiktionalen Mitteln des Theaters erfahrbar machen will. 

In einem mehrwöchigen Prozess hat die Grazer Regisseurin und Autorin Astrid Kohlmeier aus Gesprächen und Interviews mit an Depression erkrankten Menschen und Fachleuten, aus Tagebuchaufzeichnungen und Briefwechseln Szenen eines Krankheitsverlaufes entwickelt. Der Theaterabend vereint die Stimmen von rund fünfzehn am Projekt Beteiligten. Die beiden Betroffenen Elisabeth Ziegler und Anke Rencken stehen im Zentrum des Theaterabends. Begleitet werden sie von Schauspieler Peter Höschler.

„Black Dogs“ ist die Fortsetzung der von Walter Weyers ins Leben gerufenen Projektreihe „Ausgegrenzt“, die eine breitere Öffentlichkeit auf soziale und private Missstände aufmerksam machen und Menschen in Ausnahmesituationen Gehör verschaffen will.


PRESSE


Nicht nur die Krankheit beißt zu. Betroffene erzählen auf der Bühne von ihren Depressionen. Ist das noch Theater – oder "nur" Dokumentation? Die Frage heizte das Turmtheater auf.

In: Mittelbayerische Zeitung. 30.06.2010.

Von Claudia Bockholt

Regensburg. Reality-Theater soll eine andere, direktere Sichtweise auf unsere Wirklichkeit eröffnen. Vorreiter der Bewegung ist unter anderem das junge Regie-Kollektiv Rimini Protokoll, das das herkömmliche Theater als artifiziell und selbstreferenziell ablehnt, stattdessen so genannte „Experten des Alltags“ castet und die Stücke sich bei den Proben selbst entwickeln lässt. Gecastet wurde für „Black Dogs“ nicht. Wer wollte, durfte mitmachen und seine Geschichte erzählen.

Einige Beteiligte taten es anonym: Ein Mann erzählt in einer Toneinspielung von seiner Kindheit. Als Jugendlicher musste er mitansehen, wie seine Mutter sich die Haare büschelweise ausriss, die Arme aufbiss und das Blut ableckte. „Es war unvorstellbar“. Zwei Jahre später war auch er in der Psychiatrie.

Die schwarzen Hunde kommen

Authentizität ist im Reality-Theater das Zauberwort. „Ein Schauspieler kann nie so viel Erkenntnis vermitteln“, sagt Regisseurin Astrid Kohlmeier über ihre Laiendarstellerinnen, die in „Black Dogs“ des Landestheaters Schwaben auf der Bühne stehen. In der „Unverfälschtheit“ liege der besondere Wert des Stücks.

Den Namen gab ihm Winston Churchill. „Black Dogs“ nannte der Staatsmann seine Phasen tiefer Depression. Elisabeth Ziegler und Anke Rencken sind den schwarzen Hunden schon oft begegnet. Auf der Bühne des Turmtheaters sprechen sie über ihr Leben mit der Krankheit. Hin und wieder liest am Rande der Bühne Peter Höschler, hörbar ein Pro

Die Frauen zitieren aus Tagebucheinträgen, die beim Klinikaufenthalt entstanden sind, schildern ihre divergenten Erfahrungen mit Gruppen- und Beschäftigungstherapie. Es darf auch gelacht werden, als Elisabeth Ziegler ihre therapeutischen Aufträge aus dem Selbstsicherheitstraining nachspielt, ins Publikum geht und einen Mann bittet, ihr 20 Cent zu schenken.

Die Frauen konfrontieren die Zuschauer mit dem Unverständnis, das ihnen tagtäglich entgegenschlägt: Gedankenlose Sätze wie „Das wird schon wieder“ oder „Reiß’ Dich zusammen“ schlagen zusätzliche Wunden. Aufklärung tut not, so viel Information wie möglich über diese Volkskrankheit, ihre Symptome, ihren Verlauf, über Behandlungsmöglichkeiten. Laut Bundesgesundheitsministerium leidet jeder 20. Deutsche an einer depressiven Erkrankung. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit einen selbst, einen Familienangehörigen, Freund oder Kollegen trifft, ist groß. Man sollte wissen, wo man Hilfe bekommt, wie man mit Erkrankten umgeht, wie man sie am besten unterstützt. Vielerlei Informationen gibt „Black Dogs“, in sehr komprimierter Form, durch Video- und Toneinspielungen von Betroffenen und Helfern, durch die Texte derer, die die Krankheit zumindest so weit im Griff haben, dass sie es schaffen, vor Publikum zu treten. Die Texte sind einfach und eindringlich: „In meiner Haut möchte ich nicht stecken“.

Für ihren Mut und ihre Offenheit erhielten die Frauen am Dienstagabend langen, warmen Applaus des Publikums. Die solidarische Stimmung kippte unversehens, als Bayern-2-Moderator Christoph Leibold im anschließenden Theatergespräch die Regisseurin interviewte und zu hinterfragen versuchte, was eine solche Inszenierung jenseits des aufklärerischen Aspekts leisten will und kann. Der vom Kulturjournalisten zu Recht ins Spiel gebrachte Aspekt, dass Theater doch eigentlich nicht nur dokumentieren, sondern eine künstlerische Form der Kommunikation zwischen Ensemble und Publikum sein sollte, verärgerte die meisten Zuschauer, unter ihnen – wie sich zeigen sollte – sehr viele Betroffene.

So scheitert Kommunikation

Unverhüllte Aggressivität trat zu Tage. Der Moderator und ein Zuschauer, die weniger den gesundheitlichen als den künstlerischen Wert dieser Aufführung erörtern wollten, wurden heftig angegangen: „Wollen Sie moderieren oder wollen Sie sich auskotzen?“

Die Regisseurin unterstellte Leybold, dass er „schickes“ statt gesellschaftlich relevantes Theater wolle. Der Zuschauer, der anführte, dass ein zahlendes Publikum möglicherweise mehr erwarten könnte als Dramatherapie, wurde von einer um Fassung ringenden Darstellerin angeschnaubt, dass er sie „sehr, sehr wütend“ mache. Irgendwann verließ der Moderator wortlos die Bühne und setzte sich in den Zuschauerraum.

Zum Diskurs anregen, sagt Astrid Kohlmeier, will „Black Dogs“ und einen „Kommunikations-Raum“ schaffen. Normalerweise tauschen sich nach den Aufführungen Betroffene, Mitwirkende und Ärzte aus. Dass man hier bei den Bayerischen Theatertagen auf ein Publikum treffen könnte, das auch nach dem künstlerischen, dem dramaturgischen Ansatz fragt, darauf war offensichtlich niemand vorbereitet. So wurde der Kommunikations-Raum Turmtheater am Dienstagabend ungemütlich und eng.

Doch der heftige Diskurs wurde ungewollt ein fruchtbarer Teil des Abends. Er zeigte, wie und warum Kommunikation zwischen Kranken und Gesunden in der Realität scheitern kann: an Verletztheit, Voreingenommenheit und mangelndem Verständnis – auf beiden Seiten.




Der Auftritt einer Krankheit. Landestheater Memmingen "Black Dogs" widmet sich der Depression.

In: Allgäuer Zeitung. 19.04.2010.

Noch bevor die Scheinwerfer angehen im Landestheater Schwaben (LTS) und die Sicht auf die Bühne am Schweizerberg freigeben, ist klar: Dies hier ist keine normale Theateraufführung. Elisabeth Ziegler besetzt zwar zusammen mit Anke Rencken die Hauptrollen im Stück "Black Dogs". Aber beide Frauen sind keine Schauspielerinnen. Sie haben lange unter schweren Depressionen gelitten; sie standen am Abgrund, sie verloren jeglichen Halt im Leben. Heute geht es Elisabeth Ziegler und Anke Rencken besser; heute stehen sie sogar auf der Bühne und sind bereit, einen Einblick zu geben in das Innere eines depressiv erkrankten Menschen - für eine bejubelte Theaterpremiere.

Wunden Seelen also widmet sich sich die Produktion "Black Dogs" im Rahmen jener LTS-Projektreihe "Ausgegrenzt", die mit Menschen zusammenarbeitet, die durch den Raster der Gesellschaft fielen. Ein heikles Thema, über das die Betroffenen nicht gerne sprechen, weil sie sich schnell abgestempelt fühlen in einer Gesellschaft, die ein immer höheres Tempo vorlegt.

Die Grazer Regisseurin Astrid Kohlmeier geht in ihrer einfühlsamen und stimmigen Inszenierung vor allem den Fragen nach: Wie reagiert die Öffentlichkeit auf eine Krankheit, die in unserer Zeit immer mehr um sich greift? Wie kann die Gesellschaft den Betroffenen helfen?

Regisseurin Kohlmeier lässt neben den Protagonisten auch andere Betroffene (per Video) zu Wort kommen. Schriftliche, oft anonyme Bekenntnisse werden auf die Leinwand projiziert. Eine beklemmende Atmosphäre, und der Zuschauer erfährt: Die erste Phase dieser Krankheit ist die Täuschung und die Tarnung. Depressive Menschen überspielen zunächst den Ausbruch der Krankheit. Sie schlüpfen in Rollen von Schauspielern.

Regisseurin Astrid Kohlmeier hat es mit intensiver Probenarbeit und der Hilfe der Psychatrie des Klinikums Memmingen sowie des Bündnisses gegen Depression geschafft, den Bühnendarstellerinnen das größte Lampenfieber zu nehmen. Das ist wichtig, um sie auf der Bühne authentisch agieren zu lassen. Ihr Auftritt im Zusammenspiel mit dem Schauspieler Peter Höschler vermag das Publikum tief zu berühren.

Und weil dieser Abend am Landestheater keiner ist wie sonst, endet er auch nicht mit dem kräftigen Schlussapplaus des Publikums, sondern mit einer Diskussionsrunde, bei der sich Regisseurin, Darsteller und Vertreter des Bündnisses gegen Depression sowie der Psychiatrischen Klinik den Fragen der Besucher stellen.




Die schwarze Wand, die alles überragt. Das Theater-Projekt "Black Dogs" bringt das Thema Depression auf die Bühne. Die Schauspieler sind auch Betroffene: Sie zeigen, wie dunkle Tage ihr Leben beeinträchtigen und wie groß die Angst vor einem Rückfall ist.

In: Ärzte Zeitung. 07.05.2010.

MEMMINGEN. "Es tut uns leid, Ihre Erwartungen enttäuscht zu haben" - mit dieser Textzeile eines Patienten mit Depressionen startet das Theaterstück "Black Dogs" in Memmingen. Das Publikum liest Texteinblendungen und hört Stimmen vom Band - Patienten, die an dem Projekt mitgewirkt haben, aber nicht die Kraft fanden, auf der Bühne zu stehen. Unter dem Titel "Ausgegrenzt" standen in Memmingen bereits Strafgefangene und arbeitslose Jugendliche auf der Bühne. Auch "Black Dogs" ist kein übliches Theaterstück. Der Titel erinnert an Winston Churchill, der seine Depressionen so nannte.

Basis für das Theaterstück sind Interviews mit Betroffenen, Ärzten und Therapeuten, die die 26-jährige Regisseurin und Autorin Astrid Kohlmeier aus Graz führte. Zu Beginn der Proben gab es kein fertiges Buch, den roten Faden entwickelte sie zusammen mit den Betroffenen, aber es gibt keine exakt formulierten Dialoge. So brachte die erste Darstellerin, Elisabeth Ziegler aus Memmingen, Tagebuchaufzeichnungen mit. Später kam Anke Rencken dazu. Beide hatten ihre dunkelste Zeit vor über zehn Jahren, beide fürchten den Rückfall. Beide sind zuversichtlich, dass ihr Auftritt nicht zu Nachteilen im Alltag führen werde. Peter Höschler, Schauspieler am Landestheater, gibt ihnen als Erzähler am Bühnenrand den nötigen Rückhalt...

Von René Schellbach
DER OZEANFLUG - Eröffnungsspektakel des XIX. Greizer Theaterherbstes

nach Bertolt Brecht / Kurt Weill

Eröffnungsspektakel des XIX. Greizer Theaterherbstes


Regie: Tobias Sosinka
Co-Regie: Astrid Kohlmeier




Eissporthalle Greiz, 10. September 2010, 19:00

Zwei Jahre nach dem ersten Non-Stop-Flug über den Atlantik schrieben Bertolt Brecht und Kurt Weill 1929 ihr erstes Lehrstück. Das technische Experiment waghalsiger Flugpioniere wurde zum Stoff für ein künstlerisches Experiment, von dem Brecht und Weill ebenso waghalsig behaupteten: „Das Lehrstück lehrt dadurch, daß es gespielt, nicht dadurch, daß es gesehen wird.“ Aufgeführt wurde dieses Stück mit Laienchören. Doch was haben diese dabei gelernt? Und können wir noch heute von dieser Pioniertat lernen? Jedenfalls gilt es in einer Zeit, in der wir einerseits von wunderbaren technischen Erfindungen umgeben, andererseits von globalen Krisen geplagt werden, uns gegenseitig Fragen zu stellen.

Beim diesjährigen Eröffnungsspektakel überqueren mehr als 200 flugbegeisterte Greizer den Ozean erneut. Vom Tänzer bis zur Schauspielerin, vom Schulchor bis zur Profimusikerin, vom Feuerwehrmann bis zum Kunstflieger…

Der Greizer Theaterherbst ist ein soziokulturelles Projekt. Es führt Amateure und nationale wie internationale Theaterprofis, darunter Schauspieler, Regisseure, Dramaturgen und Tänzer, aber auch Bildende Künstler und Musiker zusammen. In gemeinsamer Arbeit über mehrere Monate werden in verschiedenen Werkstätten Theaterstücke, Performances und Aufführungen entwickelt, die in einer Festival-Woche, in diesem Jahr vom 10. bis 18. September, ihre Premiere haben.


PRESSE

Merbold kümmert sich um Lindbergh.

Greiz – Mit einem Absturz begann am Freitag der XIX. Greizer Theaterherbst. Ein Kunstflieger vollführt über der Eissporthalle seine Loopings und Rollen, ein Modellflugzeug folgt ihm nach, dann die Explosion, Feuerwehr und Krankenwagen bergen den Piloten.

Dies ist der spektakuläre Beginn des Eröffnungsspektakels des Festivals. Bertolt Brechts und Kurt Weills 1929 entstandenes Lehrstück „Der Ozeanflug“ haben sich der Berliner Regisseur Tobias Sosinka und seine Grazer Co-Regisseurin Astrid Kohlmeier zur Vorlage genommen und mit insgesamt 200(!) Mitwirkenden brillant in Szene gesetzt.

Es ist ein Stück, das nicht in erster Linie die technische und menschliche Leistung der ersten Atlantiküberquerung von Charles Lindbergh 1927 würdigt, sondern vielmehr Fragen zu Technikwahn und Technikgläubigkeit aufwirft und somit auch heute Aktualität besitzt.

Vier Greizer Spieler bilden den Kern der Inszenierung, ein ausdrucksstark spielender Jörg Flessa als Pilot, Steffi Jetschke, die sowohl spielerisch als auch gesanglich Professionalität bewies, sowie Elli Meier und Sybille Petermann, die wandlungsfähig Rollen von Ingenieren, Helfern oder auch Städten und Naturphänomenen übernahmen. Zum Aufsehen erregenden Spektakel, das zudem von Live-Musik getragen wurde, wurde die Umsetzung jedoch vor allem durch das geschickte und nie aufgesetzt wirkende Einbinden von Chören, Tanzgruppen oder der Theatergruppe des Wohnheims für Menschen mit einer Behinderung „Carolinenfeld“. Einer der Höhepunkte des in seinen zwar schlichten, aber äußerst erzählstarken Bildern eindrucksvollen Spiels war der Auftritt des Astronauten und Greizer Ehrenbürgers Dr. Ulf Merbold, der vor wenigen Monaten selbst in einem historischen Flugzeug den Atlantik im Auftrag der Hilfsorganisation „Luftfahrt ohne Grenzen“ überquerte. Merbold verlas den Epilog des Stücks.

„Vorwärts und...“, so das Motto des diesjährigen Festivals, bedeutet seit Freitag auch Vorwärts und weiter“, gilt es doch bis zum 18. September einen Marathon von 36 Veranstaltungen zu bewältigen. Nächste Station war am Samstag die von der Bühnenbildnerin Vera Koch geleitete Gestaltungswerkstatt. Die Mitwirkenden dieser Werkstatt präsentierten ihr Wandbild, das sie in den vergangenen Wochen an der Giebelfassade des Greizer Theaters gemalt haben und das in den nächsten Tagen weiter verändert wird. Über diesen Prozess entsteht ein Stopmotion-Trickfilm, der zum Abschlussabend des Theaterherbstes gezeigt wird.

Den klassischen Stoff der „Antigone“ brachten am Samstag bereits die Spieler der von Sebastian Stolz, Leiter des Jungen Schauspiels am Theater Eisenach, betreuten Werkstatt auf die Bühne in der Greika-Halle. Antigones „Nein“ zum Verbot König Kreons, ihren Bruder nicht beerdigen zu dürfen, verlegten die allesamt präsent und authentisch auftretenden Amateure in einen Kampfring. In zehn Runden entstaubten sie die Vorlage und offenbarten die Gegenwartsnähe des in Tod, Krieg und Verzweiflung endenden Konfliktes.

„Der kleine Bruder“ stand am Samstagabend im Greizer Theater auf der Bühne. Studierende der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ gastierten mit der in der Einrichtung von Regiestar Leander Haußmann („Sonnenallee“, NVA“) entstandenen Bühnenfassung des gleichnamigen Erfolgsromans von Sven Regener. Die rund 300 Zuschauer erlebten eine Komödie im besten Sinn, die von Frank Lehmans Suche nach seinem großen Bruder im Westberlin der 1980-er Jahre erzählt und sowohl allerhand skurrile Typen zu Tage fördert, als auch das Zeitkolorit der Vorwendezeit auf der „Insel im roten Meer“ augenzwinkernd beschreibt.
SHAKESPEARE, MÖRDER, PULP & FIKTION

Von John von Düffel.

Regie: Astrid Kohlmeier

Ausstattung: Rahel Seitz

Mit: Dino Nolting, Martin Daniel Selle, Michael Schöffel

Do., 14.10.2010, 20:00 Premiere Shakespeare, Möder, Pulp & Fiktion

Mindelheimer Theaterherbst
Fr., 22.10.2010, 20:00 Shakespeare, Möder, Pulp & Fiktion

Theater am Schweizerberg / Landestheater Schwaben



"Ich hab so'n historisches Gefühl im Bauch. Als würden wir mit unseren Colts Geschichte schreiben."

Die Großen dieser Welt haben schon immer die kleinen Ganoven vorgeschickt, um sich nicht die Finger schmutzig machen zu müssen. So auch bei Shakespeare. In seinem Historienstück "Richard III" werden zwei Killer für einen Brudermord in den Tower geschickt. Eigentlich Routine, als sie jedoch das Opfer erreichen, liegt es in tiefem Schlummer. Weckt man ihn also auf, bevor man ihn killt? Darf man ihn in seinem letzten Schlaf stören? Schon bei Shakespeare entspinnt sich zwischen Henkersknechten ein Disput über den Kopf ihres Opfers hinweg, ob und wie und wann und warum überhaupt gemeuchelt werden soll oder doch besser nicht. Es entspinnt sich ein bös-banaler Dialog, eine Rüpel- und Tölpelszene, ein Riesenkalauer mit tödlichem Ausgang.

Mit großem Sprachwitz würfelt von Düffel die Zeiten und Genres durcheinander. Seine Antihelden hadern mit sich und dem Schicksal, mit dem Guten, das sie nicht kriegen, und dem Bösen, das sie nicht hinkriegen - und dann, am Ende, löst sich doch noch ein Schuss...


PRESSE

Meuchelmörder habens nicht leicht. Von Verena Kauflersch. In: Allgäu Rundschau. 28.10.2010.

In der neuen LTS-Produktion reichen sich Shakespeare und Tarantino die Hand

Tränen lachen bei Shakespeares Richard III.? Das neue Stück des Landestheaters Schwaben «Shakespeare, Mörder, Pulp & Fiktion» im Theater am Schweizerberg in Memmingen machts möglich. Aus dem blutgetränkten Königsdrama hat Autor John von Düffel eine Szene gewählt, in der zwei Mörder angesichts ihres schlafenden Opfers Gewissensbisse plagen. Bei von Düffel sind es Pulp und Fiktion, Karikaturen eines Killer-Duos, die ins Zaudern geraten und sich Lebenskrisen beichten, gemäß dem Motto Meuchelmörder habens auch nicht leicht.

Erfreulich unverkrampft packt das Stück, inszeniert von Astrid Kohlmeier, die Shakespeare-Vorlage an. Ein weiterer Einfluss ist deutlich: Denn der abgebrühte Pulp (Dino Nolting) mit schwarzem Anzug, Ohrring und gegeltem Haar sowie sein Kompagnon Fiktion (Martin Daniel Selle) mit irrer Irokesenfrisur, viel Temperament und einer Sparportion Intellekt erinnern nicht nur durch ihre Namen an den Film des US-amerikanischen Regisseurs Quentin Tarantino. Auch das überzogen coole Agieren und die Dialoge voller Absurditäten und Wortwitz gehören in sein Stilarsenal. «Wenn wir ihn im Schlaf umbringen, dann bringen wir ihn um seinen Schlaf», gibt Fiktion mit Blick auf Opfer Clarence (Michael Schöffel) zu bedenken. Pulp siehts pragmatisch: «Ich weck ihn ja nur kurz, dann kann er ewig schlafen.

 »Aber der Job von Pulp und Fiktion ist kein leichter: «Ich hab alles drangegeben für Wein, Weib und Gesang. Und dann ist außer Spesen nix gewesen», jammert Pulp mit Blick auf den Knick in seiner Killerkarriere.

Spiel mit Klischees und Slapstick

Nolting und Selle agieren mit viel Gespür für Pointen und nutzen Klischees, ohne sie zu erfüllen. Slapstickartige Effekte werden gekonnt eingesetzt, etwa wenn Fiktion purzelbaumschlagend seine Waffe sucht, Pulp mit blonder Perücke und Steckenpferd auf die Bühne galoppiert oder beide in Boxershorts und Halbschuhen tanzen.

Stets durchbricht das Stück Ebenen und Erwartungen - und bleibt so originell: Mal verharren die Sprecher in der Shakespeare-Zeit, um sich dann, etwa durch zitierte Filmszenen, auf das Heute zu beziehen. Und dann murren die Figuren auch über ihre Rolle im Stück. Ein intelligentes, vielschichtiges und rasantes Spiel.

Nächste Vorstellungen: 30. und 31. Oktober sowie 5., 6., 7., 10., 13. und 14. November (die Termine 27. und 29. Oktober entfallen wegen Erkrankung).

 Schräges Mörder-Duo: Martin Daniel Selle (als Fiktion) und Dino Nolting (als Pulp) in der neuen Landestheater-Produktion.
 © Astrid Kohlmeier
DIE ORDNUNG DER GESELLSCHAFT NICHT STÜRZEN

Ein Spiel mit Friedrich Schillers "BRIEFEN ZUR ÄSTHETISCHEN ERZIEHUNG DES MENSCHEN" für Jugendliche und Erwachsene / Uraufführung

Text und Regie: Astrid Kohlmeier
Ausstattung: Rahel Seitz
Mit: Michaela Fent (Ratia), Fridtjof Stolzenwald (Wilde), Helwig Arenz (Friedrich Schiller)  

Ob "Räuber", "Kabale", "Carlos" oder "Wallenstein". Immer wieder wird zum Leidwesen junger Menschen behauptet, der frühvollendete Dichter sei einer von ihnen. Aber was hat uns Schillers oft kompliziert konstruierte Kunstwelt heute tatsächlich noch zu sagen?

Schiller selbst hat sich bereits ab frühester Jugend in zahlreichen philosophischen Schriften seiner Gedanken selbst versichert und über die Zeit seines Schaffens ein faszinierendes und monumentales Gedankengebäude errichtet. Hierin ringt er, gleichsam von der künstlerischen  Gestaltung befreit, um Klarheit und Einsicht in die Mechanismen einer zerrütteten Welt, die so nicht bleiben darf, wie sie ist.

Heute führen Schriften wie Schillers "Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen" ein Schattendasein in der schulischen Rezeption und geistern als Halbsatz durch die Sekundärliteratur. Zu Unrecht.

Nichts Geringeres als das dialektische Verhältnis zwischen Natur und Staat, zwischen Fühlen und Denken, zwischen Freiheit und Notwendigkeit sind Schillers Gegenstände. Im Zentrum steht der Mensch. Er sei das „unselige Mittelding zwischen Vieh und Engel“, und nur er könne diesen scheinbar unüberbrückbaren Riss, der durch ihn geht, überbrücken. Doch dazu müsse er lernen, beide Seiten an sich zu akzeptieren, konsequent auszubilden und zu leben.

Die eine Seite ohne die andere führe in die Katastrophe. Nur die Ausbildung des Zusammenspiels beider Seiten mache den Menschen zum Menschen. Doch bis dieser und sein Zusammenleben im Staat genesen sei, brauche es die Kunst, die als einzige die Kraft habe, den Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.

So schreibt Schiller in den BRIEFEN ZUR ÄSTHETISCHEN ERZIEHUNG:

Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Das Landestheater Schwaben wird dieses Spiel mit der Inszenierung "Die Ordnung der Gesellschaft nicht stürzen" wagen. Die Grazer Autorin und Regisseurin Astrid Kohlmeier (bisherige Inszenierungen am LTS: "Männliche Wimpern & Weibliche Zehen", "Windstrich", "Black Dogs", "Shakespeare, Mörder, Pulp & Fiktion") begibt sich mit dem Ensemble und den jungen Zuschauern auf eine abenteuerliche und verspielte Entdeckungsreise durch Schillers philosophische Briefe, folgt deren frecher Ernsthaftigkeit und ihrem anarchischem Witz. Der Klassiker darf vom Denkmalssockel herabsteigen und zu unserem Zeitgenossen werden, der uns weitaus mehr zu sagen hat, als wir bisher geahnt haben.

Ein sinnliches, spannendes und überraschendes Theaterabenteuer, das die Frage nach der Notwendigkeit, Wirkung und Legitimierung von geschellschaftlichen Umbrüchen, von Widerspruch, Opposition und Rebellion stellt...


PRESSE

Schiller als Freund bei Facebook. Uraufführung im Theater Memmingen. Von Brigitte Hefele-Beitlich. In: Memminger Zeitung. Allgäu-Rundschau. 21.02.2011.

Memmingen. Hat Astrid Kohlmeier abgeschrieben? Ja, und das gibt sie auch offen zu: Die junge Grazer Autorin und Regisseurin hat aus Friedrich Schillers "Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen" für ihr Stück geschöpft, das jetzt auf der Studiobühne des Landestheaters Schwaben uraufgeführt wurde. Selbstverständlich hat sie die Originalzitate in ihrem Theatertext "Die Ordnung der Gesellschaft nicht stürzen" mit Fußnoten versehen. Und das Schillers philosophisches Gedankengut in die Dialoge des Zweipersonen-Stücks auf erfrischend moderne Weise einfließt, ist ihr wohl kaum anzukreiden.

Im Gegenteil, denn gerade das Hereinholen von Schillers Thesen in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts war Intention dieser Auftragsarbeit, die vor allem Jugendliche ansprechen will. Kohlmeier (27), die selbst inszeniert hat, wählt dafür ein Medium, in dem Sein und Schein, Realität und Fiktion ohnehin kaum noch zu unterscheiden sind: das Internet. Schiller ist der Facebook-Freund von Ratia (Michaela Fent), einer intellektuellen Leseratte, die sich wahlweise mit dem Laptop oder einem gelben Reclamheftchen in der Hand zum Date mit ihrem genialen Idol träumt.

Freak und Schulabbrecher

Stattdessen trifft sie auf Wilde (Fridtjof Stolzenwald), den Freak und Schulabbrecher, dem Bücher fremd und kluge Worte zuwider sind. Skeptisch reagiert er auf Ratia, aus der der Idealismus nur so heraussprudelt, die über Freiheit und den Mut, die Welt zu verändern sinniert. (Zumindest virtuell kommt auch Schiller selbst, Helwig Arenz, als Redner "Über die gesellschaftlichen Zustände" einmal zu Wort.)

Ratia ist geradezu verliebt in Schillers geistige Welt - Wilde holt sie immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Einen Raum aus aufgestapelten Umzugskartons hat Bühnenbildnerin Rahel Seitz für dieses spannende Spiel aus Annäherung und Abstoßung geschaffen. Die Kartons sind schnell umgestapelt und damit quasi ein Sinnbild für eine junge Generation, die sich ungern auf etwas Verbindliches einlassen will. Als Wilde die philosophische Dauerberieselung schließlich zu viel wird, baut er einfach einen (Elfenbein-) Turm um Ratia herum und verschwindet mit E-Gitarre und Jimi Hendrix' "Wild Thing" auf den Lippen. Ein starker Abgang.

Unverkrampfte Begegnung

Überzeugend agieren beide Darsteller in diesem Stück, das zur überraschend unverkrampften Begegnung mit dem Klassiker wird. Dass es am Ende keinen Verlierer gibt, zählt zu den Stärken des Textes - und der Präsenz der Schauspieler, die sich die Bälle temporeich auf Augenhöhe zuspielen. Viel Applaus gab es dafür auch vom stark vertretenen jugendlichen Publikum am Premierenabend.
 © Astrid Kohlmeier
BLICKWECHSEL

Leitung: Astrid Kohlmeier

Premiere: 17.09.2011, Kaufhaus am Puschkinplatz, Greiz

Die Schauspielwerkstatt „Blickwechsel“ fand im Rahmen des XX. Greizer Theaterherbstes, einem sozio-kulturellen Projekt, das Amateure und internationale Theaterprofis zusammenführt, statt. In gemeinsamer mehrwöchiger Arbeit entwickelten die Beteiligten mit der Autorin und Regisseurin Astrid Kohlmeier einen Theaterabend. Dieser feierte am 17. September 2011 in den Räumlichkeiten des Kaufhauses am Puschkinplatz seine Premiere.

„Blickwechsel“ widmet sich jenen Biographien, die kaum in den Geschichtsbüchern und im Bewusstsein einer Stadt Raum finden. Es sind dies die Geschichten der „Zugezogenen“, die Geschichten von Menschen also, die aus den unterschiedlichsten Gründen nach Greiz gekommen sind, um hier zu leben: Migranten, darunter Flüchtlinge, Asylbewerber, Aussiedler... 

Wer sind die, die irgendwann einmal als „Fremde“ in dieser Stadt angekommen sind? Woher kommen sie? Und was bewegte sie dazu Greiz zur neuen Heimat zu erwählen? Ein Krieg? Eine Liebe, vielleicht? Die Werkstatt lädt ein, Perspektiven auszutauschen und Schätze der Stadt Greiz zu bergen, die erst durch die Augen der Zugezogenen sichtbar werden.


PRESSE

Mit dem unter Anleitung von Astrid Kohlmeier selbst entwickelten Stück "Blickwechsel" rückte die Schauspielwerkstatt des XX. Greizer Theaterherbstes die Geschichten von nach Greiz Zugereisten in den Mittelpunkt. Die Darsteller des einfühlsamen Stückes gaben dabei ausdrucksstark und mit nur punktuellen Schauspieleinlagen die Geschichten von Kriegsflüchtlingen, Asylbewerbern sowie der Liebe oder Arbeit wegen Zugezogener wieder. Foto: Marcel Hilbert

"Blickwechsel" bei Greizer Theaterherbst. Von Marcel Hilbert. In: OTZ. 19.09.2011.

Im Stück Blickwechsel erkunden die Mitwirkenden der Schauspielwerkstatt, was Menschen dazu bewegte, Greiz zu ihrer neuen Heimat zu machen. Die Premiere am Sonnabend lockte viele Interessierte ins Kaufhaus am Puschkinplatz.

Greiz. "Meine alte Heimat ist ein Märchen." Lilo ist 13 Jahre alt, als sie ihr vom Krieg bedrohtes Zuhause verlässt. Was folgt, ist eine mehrmonatige Odyssee, Nachtlager in Wäldern oder leerstehenden Gebäuden. Im Gepäck die ständige Angst, von Soldaten erwischt zu werden. "Naja, man darf den Humor nicht verlieren", sagt Lilo und beginnt, laut los zu lachen.

Für ihre intensiv und ausdrucksstark geschilderten Erlebnisse über die Flucht aus Liegnitz in Niederschlesien im kalten Januar 1945 erhält Lieselotte Pfüller langen Szenenapplaus. Ihre Geschichte ist Teil des Stückes "Blickwechsel", das am Sonnabend in der ersten Etage des Kaufhauses am Puschkinplatz uraufgeführt wird. Jan Bettermann, Katharina Leske, Annabel Hiebel, Annette Regner, Theresia Reinhold und Lilo Pfüller von der Schauspielwerkstatt des XX. Greizer Theaterherbstes werfen unter Anleitung der Grazer Regisseurin Astrid Kohlmeier ein Schlaglicht auf jene, die sich irgendwann einmal dazu entschlossen haben, Greiz zu ihrer Heimat zu machen.

In einer Collage aus Gesprächsmitschriften, Briefen, Tonbandaufnahmen und eigenen Erlebnissen zeichnen sie ein Bild über die Gründe, die Menschen dazu bewegten, nach Greiz zu kommen: Krieg, Arbeit, Flucht, Liebe, Vertreibung und andere. "Die längste Zeit unserer achtwöchigen Probearbeit hat die Recherche in Anspruch genommen", sagt Astrid Kohlmeier nach der gut einstündigen Premiere, die sehr viele Interessierte besuchten.

Punktuell und sehr bedacht wurden die Schauspiel-Einlagen gesetzt. Als eine Frau aus Aserbaidschan, die anonym bleiben will, in einem aufwühlenden Brief schildert, dass sie keine Geburtstagsfeier für ihr Kind ausrichten konnte, holen das die Darsteller spontan mit Girlanden, Ballons und einem Lied nach. Durch solche Ideen wurde das textlastige Stück aufgelockert, dem Geschilderten aber auch eine hohe Intensität und der eine oder andere Gänsehaut-Moment verliehen.

Für Schmunzeln sorgte Annabel Hiebel, als sie ihren Umzug 2001 von Plauen nach Greiz schilderte, ihre kindliche Vorstellung vom internationalen Flughafen Obergrochlitz, ihre Enttäuschung über die Realität und ihren Entschluss, die neue Heimat nicht zu mögen. "Heute lerne ich in Plauen und wohne in Greiz", sagt sie, die wie Lilo Pfüller ihre Geschichte selbst präsentierte, "Greiz hat etwas ungemein Tröstliches." Gleiches gilt für das Stück "Blickwechsel", dass neben einer gewissen Melancholie vor allem viel Zuversicht verbreitete.




CABARET | Premiere 07. Oktober 2011

Musical von John Kander (Musik), Fred Ebb (Text) und Joe Masteroff (Buch).

Inszenierung: Astrid Kohlmeier
Musikalische Leitung: Ludger Nowak
Choreographie: Mack Kubicki
Ausstattung: Rahel Seitz

Premiere: 07.10.2011, Landestheater Schwaben, Memmingen

»Willkommen, bienvenue, welcome« im Berlin der 30er Jahre! Während sich der braune Sumpf immer stärker formiert, versucht die Welt ihre grell-bunte Glanz- und Glamour-Fassade aufrechtzuerhalten und im »Cabaret« die Sorgen des Alltags zu verdrängen. Sally Bowles ist ein vergnügungssüchtiges Nacht-schattengewächs, welches die Nacht zum Tag macht. Politisch uninteressiert, ist sie dem Berliner Nachtleben völlig verfallen. Für marschierende Nazis und Untergangsstimmung ist da kein Platz. Ihre Welt ist der gesellige Nollendorfplatz, das billige Zimmer in Fräulein Schneiders Pension und der verruchte Kit Kat Klub. Sie hat den unbändigen Wunsch, berühmt und geliebt zu werden. Und so soll es sein: der junge amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw lernt die englische Nachtclubsängerin kennen und erliegt sofort ihrer faszinierenden Persönlichkeit...

Dieses Musical ist ein einziger Superlativ: acht Tony Awards am Broadway, acht Oscars für die Verfilmung und der Beginn von Liza Minnellis Weltkarriere. Der Stoff, der sich auf autobiographische Erlebnisse des englischen Schriftstellers Christopher Isherwood bezieht, wurde vom Musical-Erfolgsduo Kander&Ebb (u.a. auch »Chicago«, »Kuß der Spinnenfrau«) 1966 erstmals am Broadway aufgeführt.


PRESSE

Ruhm oder Liebe. Astrid Kohlmeier inszeniert Musical "Cabaret" am LTS. In: Memminger Kurier. 12.10.2011.

Seit einigen Jahren wird der sonst abgedeckte Orchestergraben im Stadttheater für musikalische Produktionen geöffnet: Ohne Drehbühne und mit begrenzten finanziellen Mitteln, doch mit größtem Einsatz des kleinen Ensembles, begeisterten Statisten, namhaften Gästen und der Hilfe von Sponsoren gelingt es der Intendanz immer wieder, weltberühmte Musicals wie heuer "Cabaret" zu präsentieren - eine Gemeinschaftsleistung von beispielhafter Größe.

Die junge Regisseurin Astrid Kohlmeier, die von 2006 - 2008 als Regieassistentin am LTS engagiert war und im Kaminwerk ihr eigenes Stück "Grüne Organe" vorstellte, hat sich inzwischen durch ihre erfrischen unkonventionellen Studio-Inszenierungen in Memmingen einen Namen gemacht. Besonders begeisterte sie das Publikum mit "Shakespeare, Mörder, Pulp & Fiktion", einem Stück, mit dem sie feinen, hintersinnigen Humor und geschicktes Improvisationstalent bewies: So besetzte sie die Rolle der "Leiche" in Ermangelung eines geeigneten Statisten kurzerhand mit dem Abendspielleiter. Mit "Cabaret" führt Astrid Kohlmeier erstmals im großen Haus Regie und konnte eine der glanzvollsten und erfolgreichsten Premieren der letzten Jahre verzeichnen. Für diese große Herausforderung standen ihr mit Ludger Novak (Musikalische Leitung) und Mack Kubicki (Choreographie) kompetente und erfahrene Gäste zur Seite, dazu ein hochmotiviertes Ensemble mit neuen und bewährten Kräften, die alle in der abwechselnd laufenden Produktion "Andorra" auf der Bühne stehen - unglaublich wie sie das schaffen. Die Story des Musicals von John Kander und Fred Ebb, das 1966 Premiere am Brodway feierte,und als Film Liza Minellis Weltruhm begründete, ist bekannt: Vor dem todernsten Hintergrund der sich ausbreitenden braunen Gefahr strebt im vergnügungssüchtigen Berlin der Dreißigerjahre die lebenslustige junge Nachtklubsängerin Sally nach Erfolg und Ruhm und verrät in ihrem in jeder Hinsicht blindem Ehrgeiz Liebe und mögliches Leben.

In Astrid Kohlmeiers Inszenierung spielen und singen Josephine Bönsch (Sally Bowles) und Matthias Wagner (Cliff Bradshaw) die Hauptrollen, beide mit beeindruckenden Stimmen, wobei Josephine Bönsch akustisch wie optisch frappierend an den US-Star erinnert. Vor allem in den Solo-Partien kommt ihr faszinierendes, modulationsfähiges Stimmvolumen - gepaart mit eleganten Bewegungen und enormer Ausstrahlung - zu mitreißender Geltung. Das Premieren-Publikum quittierte diesen ersten großen Auftritt der Nachwuchstalente mit tosendem Beifall.
© Astrid Kohlmeier